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    Editorial

    Der Gender Cycling Gap

    Sophia Willmes
    Sophia Willmes
    3. Mai 2023 5 Min.
    Der Gender Cycling Gap

    Alle Frau aufs Fahrrad - Aber wie?

    12.7% - so viel verdient eine Frau in Europa im Durchschnitt weniger als ihr männlicher Kollege in derselben Position. Dieser Gender Pay Gap sollte uns allen ein Begriff und auch in seiner Dringlichkeit bewusst sein. Doch solche Gender Gaps finden sich in fast allen Domänen unserer Gesellschaft, auch in der Fahrradkultur.

    Der Gender Cycling Gap ist eine der unmittelbarsten Illustrationen von Geschlechterungleichheiten im Bereich Verkehr und Transport, vor allem in Städten und Gebieten mit eh schon niedrigen Quoten an Fahrradfahrer:innen. In Rio de Janeiro sind nur 10.9% der Fahrradfahrer:innen weiblich, in Delhi sind es 2% und dieser Trend setzt sich in fast allen globalen Großstädten fort: New York, Los Angeles, Buenos Aires, Kapstadt, Bogota, London… Frauen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerung dieser Städte, aber nur einen kleinen Bruchteil der Fahrradfahrenden aus. Warum ist das so? Woraus resultiert der Gender Cycling Gap und was machen die Städte, die im Gender Cycling Gap Index so gut abschneiden, richtig? In diesem Blogpost beschäftigen wir uns mit den essentiellen Fragen von Zugänglichkeit und Sicherheit, von Komfort und Selbstverständnis, mit denen sich auch Radlerinnen konfrontiert sehen.

    Statistik zum Gender Cycling Gap in weltweiten Großstädten - Gleichheit sieht ander aus.

    Das Fahrrad ist in der Geschichte der weiblichen Emanzipation ein bedeutendes Symbol für Unabhängigkeit und Freiheit, wie wir im Artikel über die Tour de France Femmes näher erläutert haben. Gleichzeitig ist es aber bis heute ein Spiegel sozialer Ungleichheiten: Wer hat Zugang zu Fahrrädern, wem wurde beigebracht sie zu nutzen, zu pflegen oder gar zu reparieren, wer fühlt sich sicher und wohl auf dem Fahrrad und für wen sind die Fahrradinfrastrukturen unserer Städte ausgelegt?

    Es fängt bereits beim Zugang zu Fahrrädern an: Das Geld für ein Fahrrad fehlt (hier spielt der Gender Pay Gap wieder eine Rolle), es muss mit anderen Mitgliedern der Hausgemeinschaft oder Familie geteilt werden oder den Frauen wurde gar nicht erst beigebracht zu radeln.

    Das hängt leider auch mit gewissen sozialen Stigmata zusammen, mit denen sich Frauen auf Fahrrädern in manchen Kulturen konfrontiert sehen und denen sie manche schiefe Blicke zu verdanken haben: Das Fahrrad symbolisiert Werte wie Stärke und Unabhängigkeit, Attribute, die von manchen immer noch als per se männlich wahrgenommen werden. Eine Frau auf dem Fahrrad steht folglich im Widerspruch zu einer konservativen Idealvorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben. Warum in diesem Fall also einem Mädchen überhaupt beibringen, wie man es nutzt oder gar repariert?

    Die beiden wichtigsten Faktoren, auf die sich der Gender Cycling Gap zurückführen lässt, sind allerdings zwei ganz andere große Konstrukte: Die geschlechterabhängigen Unterschiede in Risikoaversion und häuslichen Verantwortungen.

    Besonders nachts eine willkommene Alternative zum Heimweg mit Bus und Bahn: Das Fahrrad

    Frauen, die sich durch den öffentlichen Raum zu bewegen, sind anderen Risiken ausgesetzt als Männer. Die latente Gefahr von Gewalt, (sexuellen) Übergriffen und Belästigungen führt dazu, dass Frauen sich schlichtweg auf vielen Wegen nicht sicher genug fühlen, was sie davon abhält, diese Wege zurückzulegen - ob auf dem Fahrrad oder nicht. Auf der anderen Seite könnte das Fahrrad besonders nachts als Alternative zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Laufen Frauen vor so mancher unangenehmen Situation bewahren - so würde es den Fahrradfahrerinnen zumindest mehr persönliche Kontrolle über Route, Geschwindigkeit und Reisezeit geben.

    Weiterführend legen Frauen andere Wege zurück als Männer. Nicht aufgrund persönlicher Präferenzen, sondern aufgrund ihrer besonderen Verantwortungen, die aus konstruierten sozialen Rollen heraus entstanden sind: Allen voran die Pflege- und Hausarbeit. Wer tagtäglich zur Arbeit, zum Supermarkt, zu Kindergarten und Co. muss, sieht sich gezwungen, Wege anders zu planen und mehr Stopps auf einmal zu verbinden. Diese sogenannte Mobility of Care, die in unserer Gesellschaft immer noch vor allem von Frauen geleistet werden muss, kostet Energie und Zeit und ist für viele auf einem herkömmlichen Fahrrad unmöglich. Um Kinder, Einkäufe und Ähnliches transportieren zu können, muss, wenn überhaupt, ein Cargobike her - aber auch dieses kommt mit einem heftigen Preisschild und somit haben wir uns einmal im Kreis gedreht und sind wieder bei der Frage der finanziellen Zugänglichkeit und beim Gender Pay Gap.

    Illustration zur Mobility of Care der World Association of the Major Metropolises 

    Wir fassen einmal zusammen: Die sozial konstruierte Rolle der Frau als Fürsorgerin und Pflegerin der Familie schlägt sich in fast jedem relevanten Grund des Gender Cycling Gaps nieder. Frauen besitzen seltener eigene Fahrräder, lernen seltener eines zu fahren, bekommen weniger fachliche Kompetenzen zu ihm vermittelt und müssen mehr Respekt oder gar Angst vor städtischer Mobilität haben. Das Fahrrad in ihren Alltag zu integrieren ist je nach häuslichen und familiären Verantwortungen mit einem normalen Bike beinahe unmöglich und die sozialen Stigmata, wenn frau es dennoch tut, sind immer noch stark verbreitet in manchen Umfeldern.

    Da hilft das PRESTO Programm der Europäischen Union auch nicht wirklich, der Maßnahmenkatalog, der Fahrradfahren in Städten attraktiver gestalten soll, will die Zielgruppe der Frauen mit folgender Kernbotschaft zum Radeln ermutigen: “Cycling is chic, fun and shapes your body”. Diese Botschaft spielt in das ewig mühsame Narrativ vom Druck, weiblichen Schönheitsidealen zu entsprechen, hinein: Fahrradfahren macht fit, hilft beim Gewichtsverlust und hält jung und kann somit Frauenkörper in die gesellschaftlich gewünschte Form bringen? Das schießt nicht nur am Ziel vorbei, Fahrradfahren schlicht als die gesunde, umweltfreundliche und einfache Mobilität zu bewerben, die es ist, sondern gibt falsche Anreize und baut zusätzlichen Druck auf Frauen auf - als ob es davon nicht schon genug gäbe. Da ist das Beauty and The Bike Projekt (ebenfalls von der EU unterstützt) noch weniger subtil in seiner traurigen Vorhersehbarkeit und zeigt Teenagerinnen wie cool Transport auf dem Fahrrad sein kann: Indem in einem 40 minütigen Kurzfilm Mädchen und Frauen auf High Heels radeln …

    Wie macht man es also richtig? Oder zumindest wesentlich besser? Wie gestalten Städte wie Berlin, München, Zürich oder Paris ein frauenfreundliches Fahrradklima?

    Bikesharing in New York: Eine von vielen Möglichkeiten das Fahrrad für alle attraktiver zu gestalten.

    Nun zuerst einmal indem sie per se fahrradfreundlich sind. Das bedeutet breite und sichere Radwege, Bike-Parking Möglichkeiten, Bikesharing und in der Stadt verteilte Aufpumpstationen. Indem man Fahrradfahren in der Stadt für alle attraktiver gestaltet, profitieren davon auch Frauen. Das untermauern Studien aus New York, Philadelphia und Minneapolis, in deren Innenstädten sich die Quoten von Radfahrerinnen nach Errichtung breiter, abgegrenzter Radwege um bis zu 270% erhöhten. Maßnahmen wie beleuchtete Radwege nehmen zusätzlich nachts Angst, Bikesharing ermöglicht mehr Flexibilität auf langen Wegen mit vielen Stopps und breite Fahrradstraßen machen sogar Mobility of Care mit einem Cargobike (soweit vorhanden) unkomplizierter. Richtig gut funktioniert Fahrradpolitik für Frauen aber dann, wenn sie sie direkt abholt. So gibt es in Berlin beispielsweise Fahrradparkplätze nur für Frauen, in Hamburg Fahrradwerkstätten von und für Frauen und die italienische Stadt Bozen bietet seit 2008 Radfahrkurse für ihre weibliche Bevölkerung an.

    Es gibt viele Gender Gaps, aber es gibt glücklicherweise noch mehr Wege, sie auch zu schließen. Beim Gender Cycling Gap funktioniert das mancherorts schon gut und vor allem wir in Europa sind einer Geschlechtergleichheit in der Fahrradkultur schon ein gutes Stück näher gekommen. Wir bei buycycle sind stolz, zumindest den Aspekt der Zugänglichkeit für jede und jeden ein bisschen einfacher zu gestalten. Auf unserer Plattform findet ihr über 10.000 gebrauchte Rennräder, Gravel und Mountainbikes, sicher, schnell und unkompliziert. Werft doch mal einen Blick auf unsere Website, bei Fragen ist unser Team jederzeit für euch da. Bis dahin wünschen wir euch allen, heute aber vor allem mal den Fahrradfahrerinnen da draußen: Happy browsing, happy cycling!