• Europas größte Fahrradauswahl

    Balkan Voyage

    Sophia Willmes
    Sophia Willmes
    18. Okt. 2023 9 Min.
    Balkan Voyage

    Bikepacking durch Kroatien, Bosnien & Herzegowina und Montenegro

    🫂
    Wir schreiben ganz schön viel übers Bikepacken und Reisen mit dem Fahrrad, dafür, dass es bei uns auf dem Blog noch keinen einzigen echten Reisebericht gab... Höchste Zeit also, dass ihr mal hautnah miterleben könnt, was man auf einem Bikepacking Trip so alles erleben kann. Und perfektes Timing, dass Paul, Fotograf und Fahrradliebhaber gerade eine abenteuerliche Tour durch den Balkan unternommen hat und bereit war, sie mit uns zu teilen. Trommelwirbel bitte für: Balkan Voyage von Paul Marschner.

    Als ich das Zugticket nach Zagreb sechs Wochen vor Abfahrt endgültig in meinen Händen halte, wird mir klar: Ich mach das jetzt wirklich. Abendelang hatte ich vor dem Laptop verbracht, Karten- und Reiseberichte durchforstet, mindestens 5 Routen erstellt und genauso viele Freunde mit Fragen aller Art gelöchert. Eins ist diesmal sicher: weniger Kilometer, mehr Fotos, mehr Kaffee, mehr Eis, mehr Essen, mehr Eintauchen in das mir Unbekannte. Laut geplanter Route geht es von Zagreb über Banja Luka nach Sarajevo und von dort in den Durmitor Nationalpark, dann einmal quer durch Montenegro bis nach Kotor, ziemlich geradlinig und küstennah zurück durch Bosnien, ein paar Abschnitte des „Transbalkan Race“ in Kroatien möchte ich noch mitnehmen, ein bisschen urbanes Flair in Ljubljana erleben und anschließend über den Berg nach Villach ehe es mit dem Zug zurück nach Hause geht. 20 Tage, ca. 1.700 Kilometer und knapp 25.000 Höhenmeter.

    1. Vorbereitung ist alles, oder doch nicht?

    Ich liebe Planen, dachte ich. Bei diesem Trip aber ließ ich mich das erste Mal etwas mehr fallen.  Ob das jetzt an Überheblichkeit, altersbedingter Gelassenheit (würde mein Opa sagen), Erfahrung aus bisherigen Bikepacking-Trips oder an einem wilden Mix aus Allem lag - ich weiß es nicht. Was aber feststeht ist, dass meine einzige Planung diesmal aus einem Zugticket und einem riesigen Komoot-File bestand. Mehr nicht. 

    Am Abend vor Abreise, nachdem dann alles gepackt ist: Zweifel, Aufregung, Angst - alleine draußen zu schlafen. Also kurze Internetrecherche und Ruhe kehrt ein: Die Übernachtungspreise entlang meiner Route sind erschwinglich. Es gäbe also einen Plan B, eine Möglichkeit auszuweichen. Ich spüre Erleichterung, finde aber gleichzeitig nun noch mehr Gründe, nicht alleine draußen zu schlafen. Die Aussicht auf abendliche Duschen und weniger Gewicht am Rad reichen aus, damit Zelt, Schlafsack und Isomatte wieder im Keller landen. Und ich endlich zu etwas Schlaf komme. 

    Am nächsten Morgen schunkelt der nostalgisch wirkende EC mit mir und meinem - nun wesentlich minimalistischer bepackten - Rad an Board Richtung Kroatien. Um den Regen zu umfahren, geht es am nächsten Morgen nochmal mit dem Zug an die bosnische Grenze. Dort verbringe ich noch drei Stunden im Warteraum des Bahnhofs, ehe mir meine neu gewonnene Gelassenheit beginnt komisch vorzukommen. Ich nutze das erste sich mir bietende, regenfreie Fenster, drücke auf dem Radcomputer auf “Start” und rolle los.

    2. Bosnien und ich, zunächst ähnlich: Zurückhaltend

    Den Sonnenaufgang über Banja Luka genieße ich mit Kaffee in der Hand auf meinem Kunstrasenbalkon, kurz darauf befinde ich  mich schon am ersten von zwei langen Anstiegen und meine Frustrationstoleranz lässt mich schneller im Stich als gewohnt. In der anschließenden Abfahrt fliegt das Schild “Motel Kanjon, 500m” an mir vorbei und noch ehe mein Kopf Gelegenheit hat, sich gegen eine Pause entscheiden zu können, bestelle ich bereits Kaffee und Omelette.  Nach einem kurzen Gespräch mit einem Fremden, Bogdan, gestärkt  und auch um einiges beseelter, kurble ich den zweiten  langen Anstieg hinauf. In Travnik angekommen, verfolge ich frisch geduscht in einem Café das Treiben auf der Straße und fotografiere. Am nächsten Morgen während des ersten Stopps an einem Supermarkt beobachte ich noch etwas verschlafen den Melonenlieferanten und anschließend eine Oma, die routiniert alle Melonen abklopft, mit dem Kopf schüttelt und sie links liegen lässt - mein Meloneneis essend schmunzle ich vor mich hin.

    Kurz darauf wird meine bis jetzt neugewonnene und anhaltende Gelassenheit auf die Probe gestellt. Es wird klar: Ich muss meine Schaltung neu einstellen. Im nächsten Ort spendiert mir ein Supermarktbesitzer sein WLAN, damit mir das Internet hoffentlich über mein fehlendes technisches und handwerkliches Können hinweghilft. Ohne Erfolg. Im 60 Kilometer entfernten Sarajevo wird mir dann im Ciklo Center glücklicherweise höchst freundlich und kompetent weitergeholfen, es gibt Cola und ich schalte kurz darauf wie ein World-Tour-Pro. Den Rest des Tages lasse ich mich durch Sarajevo treiben, esse Mangoeis und gucke Opas beim Schach spielen zu - life is sweet.

    3. Bergauf brauche ich keine Vorderradbremse. Bergab auch nicht.

    Heute ist DER Tag, nicht mal mein 04:24 Uhr-Wecker kann mir die Laune verderben. Endlich ist es soweit: Es geht in den Durmitor Nationalpark! Um 04:52 Uhr schiebe ich das Rad aus der Holzhütte, möchte kurz die Vorderbremse benutzen - Fehlanzeige. Der Hebel schlägt am Lenker an. In mir toben die Emotionen, logische Erklärungen habe ich keine, Lösungen aber auch nicht. 

    Ich bin mir allerdings schnell sicher die ersten 60km mit 1.700 Höhenmeter sehr wohl auch mit nur einer Bremse überstehen zu können, will mir den Tag nicht vermiesen lassen, rolle los und hoffe auf ein Wunder. An der Autoschlange vorbei geht es zum Grenzposten - Reisepass raus, Reisepass rein - ich passiere die ikonische Holzbrücke nach Montenegro und in mir glimmt Vorfreude auf. Euphorisch rausche ich dahin, vor Freude jauchzend teste ich mein Echo bei jeder Tunneldurchfahrt. Der folgende Anstieg, ein Traum, die Lichtsituation noch mehr, die Verfassung meiner Beine grandios, die fehlende Bremse vergessen. 

    Kurz vor Ende des Anstiegs sehe ich einen anderen Radreisenden vor mir, alte Verhaltensmuster kommen auf: Pause erst, wenn ich ihn eingeholt habe. Während der Pause lerne ich Victor, der daheim in Frankreich gestartet ist, kennen. Wir verstehen uns, sprechen über Fotografie und über meine Vorderradbremse und fahren gemeinsam die nächsten zehn Kilometer, ehe Victor für Kaffee halten möchte, ich aber - ebenfalls ein altes Verhaltensmuster - meine, weiter zu müssen. Im Anstieg finde ich Ruhe, denke nach und als meine mentale Debatte endet, halte ich dann doch kurz vor Ende des Anstiegs an einem maroden Anhänger für arabischen Kaffee und warte auf Viktor. “Der war doch ganz nett, der Typ,” denke ich. Wir verbringen den restlichen Tag gemeinsam, fotografieren, und auf der Abfahrt beneide ich ihn um seine funktionierenden Felgenbremsen. In Žabljak kocht Viktor im “Stadtpark” oder dem, was wir dafür halten, eine 5x5m großen Rasenfläche, während ich Fanta trinke und den Standort meiner Unterkunft ausfindig mache. Als wir uns trennen, merke ich, wie froh ich um die Gesellschaft war und bin zufrieden, alte Verhaltensmuster einmal ausgesetzt haben zu können.

    4. Heat Exposure oder glühende Zuneigung?

    Ich merke langsam, wie ich in dieser Reise immer mehr ankomme. Bei der Abfahrt am nächsten Morgen zeigt mir mein Fahrradcomputer solide 70 km/h an und ich erinnere mich an meine eingeschränkten Bremsmöglichkeiten, ziehe aus Gewohnheit beide Bremsen und - beide bremsen. Wait what? So mysteriös, wie sie verloren ging, ist sie wieder da. Ich schreie vor Freude und kann das erste Mal meine Mundwinkel an meinen Ohrläppchen spüren. Heute kann mir nichts mehr etwas anhaben, weder die Hitze noch meine skurrile Unterkunft. Am nächsten Morgen lässt mich die anhaltende Euphorie noch aus dem Bett und anschließend über den Asphalt schweben, ich mache am Straßenrand ein paar Klimmzüge - just because - und fliege noch ein paar extra Höhenmeter hinauf - just because. Keine 30 km später sitze ich in einer Ruine am Straßenrand. Erschöpft.

    Es sind 42°C, ein erfrischender Wind zieht durch und mein Rad lehnt perfekt an einer Wand. Ich nutze die Gelegenheit für ein paar Fotos und kurzes Durchatmen. Bis mein Rad, gefühlt in Zeitlupe, um- und direkt auf die Schaltung fällt. Fuck. Fünfmal tief durchgeatmet, die Hände schmutzig gemacht, Schaltauge ausgewechselt und ich lasse Frust und Ruine hinter mir. Den Skadarsee nehme ich bei zeitweiligen 47°C wie in einem Fiebertraum wahr, meine Energie fokussiere ich auf die Kilometeranzeige, die mir in fünf Kilometer Eis und kalte Getränke verspricht.

    Der nächste Tag beginnt, wie der vorherige endete, bergauf mit einem Gewitter-Intermezzo. Drei Stunden, das Gewitter aussitzend, verbringe ich in einem Café, in dem ich erst dem Hausmeister beim Streichen und später den noch-alkoholisierten Freunden des Cafébesitzers beim Karten spielen und rauchen im winzigen Innenraum zusehe. Irgendwie skurril, ich muss mir mehrfach ein Lachen verkneifen. 4h später sitze ich schon wieder, diesmal aber in die Leere starrend am Straßenrand. Schweiß perlt an mir hinab, die Vollgas-Flucht aus der Bucht von Kotor fordert ihren Tribut. Ich weiß was ich brauche, aber leider nicht, wo ich es bekomme - Eis und Fanta. Noch zweimal finde ich an diesem Tag mein rettendes Lebenselixier, bevor ich endlich nach Trebinje hinab sausen kann. In der Abfahrt packt mich die Schönheit des Panoramas, einer dieser unbeschreiblichen Momente, alles außer dem Surren der Reifen nehme ich nicht mehr wahr, das Herz ist voll.

    Am übernächsten Tag sind meine Beine durch. Es ist Tag 10 und ich kann sie nicht mehr erreichen, kein Anschluss unter dieser Nummer. Ich quäle mich, debattiere mit mir, sehne mich nach Komfort, aber schaffe dann doch immer noch eine Pedalumdrehung mehr als gedacht. Kaum bin ich physisch wieder etwas mehr auf der Höhe, quittiert der Hinterreifen pünktlich zur Mittagspause seinen Dienst. Ein herzlicher Zweiradmechaniker, ein Kaffee und ein kühles Radler sind meine Rettung und ermöglichen mir, dass ich noch zur Golden Hour die letzten wilden Pferde Europas erreiche. Deren Desinteresse an mir absurden Abenteurer auf dem knallorangenen Rad fasziniert und erdet mich. Beeindruckt von ihrer Stärke und Autonomie genieße ich diese ruhigen Momente in vollen Zügen.

    5. Improvise, Adapt, Overcome

    Am Tag darauf treffe ich meinen Gastgeber in einem Café auf ein einstündiges Gespräch über Gott und die Welt (Google Translate macht’s möglich), bis auf die perfektionierte Burek-Routine passiert heute nichts mehr. Am nächsten Morgen heißt es dann viel zu früh und schweren Herzens Doviđenja Bosnia und der Rückenwind drückt mich in Richtung kroatischer Grenze, die mich mit grauen Regenwolken bereits erwartet, als wüsste sie um meine aktuelle Stimmung. Dieses nasse Grau begleitet mich für den Rest des Tages und ab der zweiten An-und Auszieh-Runde meiner Regenmontur bemerke ich immer mehr wie unangenehm  Sitzen heute ist. Und dass es leider auch nicht besser wird. Abends im Bett, bin ich voller Hoffnung, dass sich über Nacht schon alles beruhigen wird und ich am nächsten Morgen ganz normal weiterradeln kann. Das bleibt nichts als ein Wunschtraum.

    Nach dem Aufwachen sträube ich mich gegen das Offensichtliche, setze mich trotzdem aufs Rad und spätestens gegen Ende des einzigen, längeren Anstiegs ist klar: Das wird nichts mehr. Eingestehen will ich mir mein Versagen noch nicht. Fotografieren fühlt sich an, als würde ich mein Versagen dokumentieren. Eigensinnig mit einer Dosis Scham konsumiere und konserviere ich die letzten Eindrücke in meinem Kopf. Als das Verhalten von unbewusst in bewusst wechselt, habe ich Schwierigkeiten meine Tränen zurückzuhalten. Meine Beine, mein Kopf, meine Lunge, mein Herz, alle haben noch so viel zu geben. Dass es an Sitzproblemen scheitert, fühlt sich so falsch an. Ich war noch nie mit Sitzproblemen konfrontiert, bisherige Problemlösungsstrategien funktionieren hier nicht. Und die Neue - aufgeben, kapitulieren, sich geschlagen geben - fühlt sich noch so falsch an. 

    Als ich mich geschlagen gebe und mich am nächsten Bahnhof einfinde, erfahre ich, dass der Zug für Fahrräder erst um 00:30 Uhr kommt. Es ist 11:30 Uhr. Elf Stunden in einem Kaff zu verbringen, ist nicht wirklich eine Option, also quäle ich mich nochmal 50 Kilometer zu meiner gebuchten Unterkunft, schlafe ein paar Stunden und stehe dort mitten in der Nacht am Bahnhof, um meine Rückreise mit dem Zug anzutreten. Immerhin habe ich in Ljubljana 4h Aufenthalt, kann das erwartete, urbane Flair aufsaugen und ein letztes Mal meine Burek-Routine zelebrieren. Und mit dem letzten Burek kommt die Gelassenheit zurück. Mein Kopf beginnt langsam aber sicher das Erlebte Revue passieren zu lassen,  ich schwelge schon jetzt in Erinnerungen und plane im Kopf bereits die nächste Tour.

    Was uns von buycycle jetzt noch bleibt? Erstmal ein dickes Danke an Paul für die Mühe und Liebe, die er in diesen Text gesteckt hat und dafür, dass er uns ein bisschen an seinem Erlebnis hat teilhaben lassen. Wenn euch jetzt die Reiselust gepackt hat und ihr euer nächstes (oder gar erstes) Bikepacking Abenteuer kaum erwarten könnt, haben wir bei buycycle auf jeden Fall das richtige Bike für euch. Werft ein Blick auf buycycle.com, entdeckt unsere über 15.000 Rennräder, Gravel und Mountainbike und findet euer nächstes Traumbike. Bei Fragen rund ums Bikepacken oder unsere Fahrräder ist unser Team jederzeit für euch da und mehr rund ums Thema Fahrrad findet ihr auf dem Blog. Bis dahin wünschen wir euch, wie immer: Happy browsing, happy cycling!