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    Editorial

    Netflix bringt die Tour de France groß raus

    Sophia Willmes
    Sophia Willmes
    14. Juni 2023 5 Min.
    Netflix bringt die Tour de France groß raus

    Unsere buycycle Review zu Tour de France: Im Hauptfeld

    Dass wir bei buycycle nicht nur riesige Fahrrad-, sondern auch Filmfans sind, das sollte spätestens nach unserem Artikel über die besten Fahrradfilme klar geworden sein. Logisch also, dass unsere Herzen höher schlagen, wenn Netflix eine sechsteilige Dokuserie über die Tour de France 2022 veröffentlicht. Noch logischer, dass wir sie für euch bingen und euch einen ordentlichen Blogpost vorbereiten. Hier also unsere Review zu Tour de France: Im Hauptfeld!

    Es ist nicht die erste Netflix Doku zum Thema Radsport. Mit Icarus legte der große Streamer bereits 2017 ein beeindruckendes Werk zu Doping im professionellen Radrennsport vor, das sogar mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Und auch Projekte wie Drive to Survive oder Ball Point gehen anderen (Extrem-)Sportarten fesselnd auf den Grund. Netflix kann Sport. Und dass Netflix auch Radsport kann, ist mit Im Hauptfeld auf jeden Fall bewiesen.

    Was nicht bedeutet, dass der sehr dramatische Hollywood-Style dieser Serien nicht gelegentlich nervt. Das Netflix-Rezept für Dokus ist und bleibt dasselbe, und es gilt auch für Im Hauptfeld: Rasante Schnitte, Tiefschläge der Athleten in Slow Motion und mit dunkler Vignette, bedeutungsschwangere Off-Kommentare und Interviews in Weltuntergangssetting vor dunklen Hintergründen und in spärlichem weichen Licht.

    Die Doku bedient sich ordentlich an Nervenkitzel und Spektakel. So werden uns drastische Statements und halsbrecherische Bilder innerhalb derselben Folge teils so oft an den Kopf geworfen, dass man beinahe einen Bug am Laptop vermutet. So betont Marc Madiot, ehemaliger Radsportprofi und Chef des Groupama-FDJ Teams beispielsweise todernst:

    Das Leiden ist der Schlüssel und das Herzstück des Radsports.

    Das bekommen wir nicht nur ein dutzend Mal zu hören, wir sehen es auch mindestens genauso oft.

    Angefangen bei Fabio Jakobsens angsteinflößendem Sturz bei der Tour de Pologne 2020, bei dem er beinahe sein Leben gelassen hätte, weiter mit einer Tasche Verpflegung, die Thibaut Pinot bei voller Fahrt ins Gesicht knallt, bis hin zu verzerrten Gesichtern bei den quälenden Bergfahrten in den französischen Alpen. Das tut weh. Nicht nur den Athleten, auch uns Zuschauenden. Wir leiden hier körperlich mit. Für schwache Nerven ist das nichts, dafür aber umso aufregender und spannender für alle Anderen.

    narratives Rückgrat der Serie und Tour-de-France-Lehrer des Publikums: Steve Chainel

    Genau deshalb ist Im Hauptfeld trotz angebrachter Kritik an Form und Stil eine absolut gelungene Produktion. Verschiedenste Akteur:innen, allen voran der geniale Ex-Sportler Steve Chainel, bieten klug eingebaute Einblicke in Regeln, Prinzipien und Feinheiten des Wettkampfs. Wer bis jetzt keine Ahnung von Radsport hatte, wird hier elegant an die Hand genommen, gerade genug aufgeklärt und vollends begeistert. Wer noch nie eine Live-Übertragung der Grands Tours verpasst hat, wird trotzdem bereichert und gefordert und bekommt bekanntes, teils träges TV-Material in kinowürdigem Thriller-Format neu präsentiert.

    Wer die Tour de France noch nicht kannte, wird sie nach dieser Serie lieben. Oder fürchten. Oder beides.

    Wer aber technische Einblicke in diesen Sport oder journalistische Präzision sucht, ist hier an der falschen Stelle. Im Hauptfeld hat ein ganz anderes Ziel, ist weniger auf die detailverliebte Aufarbeitung eines traditionsreichen Wettkampfs aus, sondern mehr auf Unterhaltung und die Erregung von Aufmerksamkeit. Dieses Ziel erfüllt die Serie auch ziemlich bravourös. Sie verschafft dem Radsport neue Publika und Fans, richtet sich an die breite Masse und holt diese erfolgreich ab. Anders formuliert: Der Radsport hat dank Netflix' sechs Millionen Euro teurer Serie gute Chancen, den Sprung in den Mainstream zu schaffen.

    die großen Sieger der Tour de France 2022: Jonas Vingegaard und Wout von Aert

    Nicht nur dank der atemberaubenden Darstellung der einzelnen Etappen und Manöver, sondern auch dadurch, dass dem Sport ein menschliches, beinahe familiär-sentimentales Gesicht gegeben wird. Die Kameracrews folgen acht der 22 Profiteams über die gesamte Tour hinweg und begleiten deren Höhen und Tiefen, deren Leid und Freude. Aber Zuschauende bekommen auch private Einblicke in das Leben einiger Athleten. Wir sehen Wout von Aert mit seiner kleinen Tochter am Esstisch, Thibaut Pinot auf seinem heimischen Hof, wie er seine Ziegen füttert und lesen die liebevoll neckenden Nachrichten von Geraint Thomas' Frau quasi mit. Und es wird jede Menge geweint. Vor Enttäuschung über verlorene Etappen, vor Glück und Rührung, wenn Träger des gelben Trikots, Jonas Vingegaard, seinem Teamkollegen Wout den letzten Etappensieg schenkt. Und Julien Jurdie, der sonst so cholerisch wirkende Leiter des französischen AG2R-Citroën Teams, erzählt vor laufender Kamera unter Tränen vom Tod seiner Eltern.

    ein kurzer Reminder zum Alter des Radsportveteranen Geraint Thomas von seiner Frau

    Das mag jetzt wieder überzogen dramatisch und emotional wirken, funktioniert aber erstaunlich gut. Vor allem, weil jenseits dieser intimen Momente klar wird, was für ein Teamgeist und welche beinahe an Besessenheit grenzende Leidenschaft die Sportler verbindet und antreibt. Wie unabdingbar taktisches Kalkül im Radsport ist, wird ebenfalls glasklar. Oder zumindest die Existenz jenes Kalküls. Die Taktiken selbst zu erklären oder auch nur anzuschneiden, das wollten entweder die Teams nicht oder Netflix traut uns das einfach nicht zu. Ein bisschen schade ist das schon.

    Dieses Nicht-Erwähnen einzelner Strategien führt zum letzten großen Kritikpunkt. Das packende Storytelling, das zwischen Teams, Athleten und Etappen hin und her springt, erlaubt uns eindrückliche und intensive Einblicke in die drei wichtigsten Wochen der Radsportsaison. Aber ein paar Löcher hat dieses Geflecht aus Interviews, Momentaufnahmen und atemberaubendem Tour-Material schon. Ein großes Loch mit dem Namen Pogačar und noch ein paar kleinere, die Doping, Kameradschaft oder Ernährungsdefizite heißen.

    Tadej Pogačar, zweifacher Tour de France Sieger, war auch 2022 ein heißer Favorit für das gelbe Trikot. Sein Team, UAE Emirates, entschied sich gegen eine Teilnahme an der Serie. Es ist aber nicht so, dass Pogačar gänzlich aus dem Spiel gelassen wurde. Im Gegenteil, er spielt besonders in den letzten Folgen eine zentrale Rolle. Die des Antihelden. Die des Sportlers, der die leiseste Chance nutzt, um seine Gegner zu "vernichten", die der verbissene Siegesmaschine. Für das Storytelling funktioniert das grandios, aus Sportler:innensicht haben es sich die Produzent:innen aber dann doch etwas zu leicht gemacht.

    Vingegaards und Pogačars Handschlag in der 18. Etappe: Das ist doch mal Sportsgeist

    Und so ist es vielleicht auch logisch aus Sicht des Produktionsteams, dass einer der ikonischsten und beeindruckendsten Momente der letzten Tour de France es nicht auf Netflix geschafft hat. Der Handschlag zwischen Vingegaard und Pogačar, nachdem der Slowene in der 18. Etappe gestürzt war und Vingegaard auf seinen Konkurrenten gewartet hatte. Auch der Dopingskandal von Nairo Quintana wird außen vor gelassen, genauso wie die beinharten Auflagen, denen die Sportler unterliegen, von Ernährungseinschränkungen, über endloses Training und das "Leben als Mönch", wie Fahrer Nelson Powell es nennt.

    Aber eine zweite Staffel der Serie bei der Tour de France 2023 ist ja bereits in Planung. Vielleicht macht der Streamer also den ein oder anderen Kritikpunkt wieder wett. Hoffentlich bleibt es aber gleichermaßen mitreißend und eindrücklich. Wir freuen uns jedenfalls. Auf die neue Tour de France, die neue Staffel und die nächste Filmkritik.

    Wenn euch jetzt so dermaßen der Ehrgeiz des Radsports gepackt hat, dass ihr kaum darauf warten könnt, aufs Rennrad zu springen, dann lohnt sich ein Blick auf buycycle.com. Bei uns findet ihr über 14.000 Rennräder, Gravel und Mountainbikes, dein nächstes Traumrad wartet also quasi schon auf dich. Bei Fragen rund ums Thema Fahrrad seht ihr euch am Besten im Blog um oder kontaktiert unser Team. Geht auch, wenn ihr nur nochmal über die Serie quatschen wollt. Bis dahin wünschen wir euch aber: Happy binging, happy browsing, happy cycling!